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Die Ukrainer unter deutscher Herrschaft: Reichskommissariat Ukraine und Generalgouvernement

von Tetjana Zabolotna

Während des Zweiten Weltkrieges waren die ukrainischen Gebiete Bestandteil von vier Besatzungszonen: Dies waren der Distrikt Galizien Teil des Generalgouvernements, das Reichskommissariat Ukraine, die rumänischen Gouvernements Bukowina, Bessarabien und Transnistrien sowie die Gebiete unter Wehrmachtsverwaltung. Jede dieser künstlich geschaffenen Verwaltungsgebiete wies sowohl in Bezug auf den Aufbau der Herrschaftsstrukturen als auch die Stellung der Zivilbevölkerung besondere Merkmale auf. Der Schwerpunkt der vorliegenden Untersuchung liegt auf der Situation in den beiden zentralen Besatzungszonen, dem Reichskommissariat Ukraine und dem Distrikt Galizien.

Das Reichskommissariat Ukraine (RKU) bestand vom 1. September 1941 bis Ende April 1944 als territoriale Entität; als administrative Einheit wurde es formal erst am  15. November 1944 aufgelöst. Erich Koch, Gauleiter in Ostpreußen, wurde zum Reichskommissar ernannt, Amtssitz des Reichskommissariats wurde die Stadt Rivne. Koch war dem Ministerium für die besetzten Ostgebiete in Berlin unter Leitung des Reichsministers Alfred Rosenberg unterstellt. Vom 1. September 1941 bis zum 1. September 1942 wurden schrittweise zusätzliche Gebiete im Osten und Süden aus der Militärverwaltung an das RKU übertragen.

Die vorherrschende Politik der deutschen Zivilverwaltung auf dem Gebiet des RKU entsprach dem politischen Konzept Kochs , das der Historiker Alexander Dallin in vier zentralen Punkte zusammengefasst hat: „1. das deutsche Volk ist das Herrenvolk, 2. die Ostvölker, Ukrainer wie alle anderen, sind dazu bestimmt, ihren naturgegebenen Herren zu dienen, 3. es ist Deutschlands Recht und Pflicht, den Osten auszubeuten, 4. die vollständige Beherrschung des eroberten Ostens erfordert die Vernichtung der einheimischen Intelligenzschicht und aller Elemente – ob russisch, ukrainisch oder jüdisch –, die eine potentielle Gefahr für die deutsche Herrschaft darstellen.“ [1]  

Das Gebiet des Generalgouvernements (GG) war zunächst in vier Distrikte (Krakau, Radom, Lublin, Warschau) unterteilt. Nach der Besetzung der westukrainischen Gebiete wurde aus der bis 1918 zu Österreich gehörenden Region zum 1. August 1941 der Distrikt „Galizien“ geschaffen. Mit der Führung des Distrikts war ein Gouverneur betraut. Ab dem 1. August 1941 war dies Karl Lasch; ab dem 30. Januar 1942 dann Otto Wächter. Im Vergleich zum RKU boten sich den Ukrainern im GG ein größerer Spielraum zur Geltendmachung ihrer Interessen. Unter der Ägide des Ukrainischen Hauptausschusses (Ukraïns’kyj Central’nyj Komitet) wurde ein Netzwerk aus gesellschaftlichen Einrichtungen geschaffen, die maßgeblichen Einfluss auf das alltägliche Leben der ostgalizischen Ukrainer hatte. [2] Der Ukrainische Hauptausschuss arbeitete im Grenzbereich zwischen dem Erlaubten und dem Verbotenen und dehnte seinen Einfluss faktisch auf fast alle Aspekte des nationalen, öffentlichen Lebens aus. Dabei lässt sich das Ausmaß der Handlungsfreiheit dieser Einrichtungen durch das pragmatische Kalkül der nationalsozialistischen Besatzungsbehörden erklären, die sich die Gegnerschaft der Ukrainer zu den Polen zunutze machten. Die Gegebenheit eines solchen politischen Ansatzes gegenüber der Lokalbevölkerung ist durch eine Äußerung des Generalgouverneurs Hans Frank nach einem Treffen mit Hitler von Anfang März 1940 verbrieft: „Der Führer legt Wert auf die Feststellung, dass das ukrainische Element im Generalgouvernement als antipolnisch und prodeutsch angesehen werden sollte.“ [3]

In sämtlichen Besatzungszonen kam es zu einem volligen Wandel der Lebensweise der gewöhnlichen Ukrainer. Das Leben der Einwohner wurde reglementiert durch Gesetzes- und Rechtsakte der Besatzungsmacht, die auf die Kolonisierung und „Pazifizierung“ des Territoriums sowie die größtmögliche Ausbeutung der lokalen Bevölkerung abzielten. Besonderes Augenmerk wurde dabei auf die Inanspruchnahme billiger Arbeitskraft gelegt. Bereits vor Kriegsbeginn hatte die nationalsozialistische, deutsche Führung einen Plan zur Plünderung der ukrainischen Wirtschaft und ihrer Umgestaltung zum Rohstofflieferanten der deutschen Wirtschaft ausgearbeitet, der in den „Richtlinien für die Führung der Wirtschaft in den neubesetzten Ostgebieten (Grüne Mappe)“ [4] festgehalten ist.

Die lokale Bevölkerung wurde zur Zusammenarbeit mit den Besatzungsbehörden gezwungen. Man kann hier zwischen einer offiziellen und einer alltäglichen Ebene der Zusammenarbeit unterscheiden. Die offizielle Ebene manifestierte sich in der Arbeitsweise der Machtorgane, der Herausgabe von Dokumenten, die das Leben der Ukrainer reglementierten – und darin, dass die Bevölkerung die eingeführten Vorschriften entweder einhielt oder sabotierte. Die Ordnung wurde durch einen mächtigen Gewalt- und Beraubungsapparat – Gestapo, Gendarmerie, Polizei etc. – sichergestellt, der in einem System der Sippenhaft und Massenvernichtung der Bevölkerung seinen Ausdruck fand.

Die lokalen Behörden nahmen dabei eine vermittelnde Position zwischen der deutschen Verwaltung und der Zivilbevölkerung ein. Die lokalen Behörden bestanden größtenteils aus Ukrainern und somit „den eigenen Leuten“, was die Lösung der täglichen Anliegen der Ukrainer befördern sollte. Tatsächlich war dies häufig, jedoch nicht immer der Fall. Sie befassten sich mit allen Angelegenheiten des täglichen Lebens, sodass ihre Aktivitäten unmittelbare Auswirkungen auf den Alltag der lokalen Bevölkerung hatten. Diese wandte sich mit dringenden Anliegen zur Versorgung mit Lebensmitteln  und Wohnungen, der Kommunal- und Gesundheitsversorgung, des Transportwesens, Handels, Bildung, Wissenschaft, Kultur usw., die sie nicht selbst lösen konnten, an die lokalen Beamten. Diese mussten jedoch vor allem  die Befehle der Besatzungsmacht ausführen, so dass die Anliegen der Einwohner zweitrangig blieben.

Auf Initiative der örtlichen Gemeinden wurden in den Jahren der deutschen Besatzung  Maßnahmen zur Wiederherstellung der Bildungs- und Kultureinrichtungen ergriffen. Dabei sahen die grundlegenden politischen Prinzipien des NS-Regimes auf diesem Gebiet eine strikte Reglementierung sämtlicher Bereiche des geistigen Lebens der Ukrainer und eine umfassende Einschränkung dieser auf ihre banalsten Ausdrucksformen vor. Die Hauptsäulen des Bildungssystems bildeten die Grund- und Berufsschulen, die den Zweck hatten, bei der nachrückenden Generation ein Mindestmaß an Bildung sicherzustellen und sie auf einfachste Tätigkeiten in Landwirtschaft, Industrie, Handwerk und Handel vorzubereiten. Die Aktivitäten der Kultureinrichtungen zielten zuvorderst auf die Erfüllung der Bedürfnisse der Wehrmacht und erst danach der Zivilbevölkerung ab. In den größeren Städten nahmen die Theater, Kinos, Museen und Bibliotheken wieder den Betrieb auf.

Das tägliche Leben der Zivilbevölkerung war erfüllt von Angst um sich selbst und um die Familie. Diese Angst speiste sich aus der Politik der Besatzungsmacht, die darauf abzielte, die Bewohner der besetzten Gebiete aus rassistischen, nationalen, religiösen, politischen und ökonomischen Gründen zu vernichten.

Bereits vor Kriegsbeginn wurde das Territorium der Ukraine von den Nazis als „Lebensraum“ für das deutsche Volk angesehen, der von der überflüssigen einheimischen Bevölkerung zu säubern sei. Im Januar 1941 verkündete der Reichsführer SS, Heinrich Himmler, in einer geheimen Ansprache an seine Untergebenen, dass das Hauptziel des Krieges gegen die UdSSR die Vernichtung von 30 Millionen Menschen sei. [5]

Offizielle Dokumente, die das Leben in den besetzen Gebieten reglementierten, zielten auf die Schaffung eines strengen Regimes ab. Am 23. August 1941 erließ Alfred Rosenberg eine Anordnung, derzufolge die Bevölkerung der besetzten Gebiete vollständig der deutschen Gerichtsbarkeit unterworfen wurde und für ihre Nichteinhaltung die Todesstrafe vorgesehen war. [6] Die Befehle des Chefs des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW), Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel vom 16. September 1941,[7] der Befehl des Generalfeldmarschalls Walter von Reichenau zum „Verhalten der Truppe im Ostraum“ vom 10. Oktober 1941 sowie die Direktive des OKW vom 16. Dezember 1941, wonach es den Truppen erlaubt war, gegen ungehorsame Personen (darunter Frauen und Kinder) jedes beliebige Mittel einzusetzen,[8] bezweckten die Unterdrückung aufständischer Tendenzen gegen die Besatzer. Die Verwirklichung des Besatzungsregimes erfolgte mit grausamen Methoden. In erster Linie war die Vernichtung der folgenden Personengruppen vorgesehen: Kommunisten, die sowjetische und wirtschaftliche Führungsriege, Juden, Roma, Behinderte, Geisteskranke und so fort. Die Prinzipien der „kollektiven Verantwortung“ und von Geiselnahmen fanden zunehmend Anwendung, sodass unschuldige und zufällig ausgewählte Personen erschossen wurden. [9]

Neben physischem Terror griffen die Nazis auf administrativen und wirtschaftlichen Terror zurück, um die vollständige Unterordnung der Bevölkerung zu erreichen (Dokument 2). Dazu gehörte die Einführung einer Sperrstunde, die statistische Erfassung und Registrierung der Bevölkerung, die Einschränkung des Personenverkehrs zwischen Siedlungen, die Einführung neuer Dokumente (Personalausweis, Arbeitsbuch, Ausreiseerlaubnis usw.),  die Verpflichtung der Bevölkerung zur Zwangsarbeit und vieles mehr. Die von den deutschen Besatzungsbehörden durchgeführte statistische Erfassung der Bevölkerung erleichterte die Identifizierung von Personen, die das Regime als „gefährlich und unzuverlässig“ erachtete. Die Besatzer interessierten sich insbesondere für die arbeitsfähige Bevölkerung sowie die umfassende Erfassung von Tätigkeiten, die sich für die Besatzungsmacht als nützlich erweisen könnten. Anordnungen und Bekanntmachungen zur Erfassung der arbeitsfähigen Bevölkerung endeten häufig mit Drohungen gegenüber denjenigen, die nicht die Absicht hatten, ihnen Folge zu leisten. Für Saboteure war die Todesstrafe durch Erschießen vorgesehen.

Zahlreiche Dokumente über die Verwertung der Arbeitskraft der Bevölkerung in den besetzten Gebieten strebten die rücksichtslose Ausbeutung der Arbeitsressourcen und die Versklavung von Arbeitern und Bauern durch die Einschränkung der Mobilität an(Dokument 3). Ein neu eingeführtes System der Beschäftigung und der Entlohnung war gekennzeichnet durch eine erhebliche Verringerung der Anzahl an Arbeitsplätzen, insbesondere im Bereich  geistiger Arbeit. Es schloss eine Abstufung der Löhne nach Nation und Geschlecht und die Ausnutzung von Kinderarbeit ein (Dokument 4). Eine soziale Sicherung fehlte. Die Besteuerung nahm die Form von Beschlagnahmungen landwirtschaftlicher Erzeugnisse an. Steuern (Dokument 5) wurden aber auch auf Löhne, Einkommen und Personen, auf Höfe, Transportmittel, Vieh und anderes erhoben und Geldbußen verhängt. Die Hauptfunktionen bei der Rekrutierung der Bevölkerung für die Arbeit, einschließlich der Erfassung und Registrierung des arbeitsfähigen Bevölkerungsanteils sowie der Kontrolle über die Zielvorgaben der Arbeit wurden den Arbeitsämtern übertragen. [10] Es wurden Repressionen gegenüber denjenigen angewandt, die sich der Zwangsarbeit in Deutschland entziehen wollten, da im Laufe der Zeit die Rekrutierungsmaßnahmen in dem Maße die Form einer Zwangsmobilisierung annahmen, in dem der Bedarf des Dritten Reiches an Arbeitskraft zunahm. [11]

In einigen Regionen, insbesondere in Städten, nahm die Vernichtung der Zivilbevölkerung einen massenhaften Charakter an. So wurden während der Besatzung Kyjiws zwischen dem 19. September 1941 und dem 6. November 1943 fast 100.000 Menschen ermordet. [12] Eine der Hauptstätten, an denen der Massenmord an den Einwohnern der Stadt verübt wurde, war die berüchtigte Schlucht Babyn Jar. Die Aktionen der Nazis richteten sich hauptsächlich gegen Juden. Etwa zwei bis drei Monate nach den Massenexekutionen wurde in Babyn Jar die Mehrheit der Roma ermordet. Innerhalb der Bevölkerung Kyjiws fand ein Spruch, der die wahren Absichten der Nazis und das Wesen ihrer Aktivitäten enthüllte, große Verbreitung: „die Deutschen haben´s gut, die Juden gehn kaputt, Zigeunern blüht das Gleiche, hernach Ukrainer-Leichen.“ [13] Zu den Personengruppen, die unter verschärfter Beobachtung standen, gehörten Kommunisten und Komsomolzen, ehemalige Beamte sowie sowjetische und gesellschaftliche Aktivisten, die aus unterschiedlichen Gründen in der Stadt geblieben waren. Einem Augenzeugenbericht der Kyjiwerin A. Makarynska zufolge, die als Pförtnerin in der Stadt arbeitete, wurden im Oktober 1941 sämtliche Kommunisten aus ihrem Wohnblock festgenommen. [14] In den folgenden zwei Jahren der Besatzung Kyjiws wurden Menschen unabhängig von ihrer Nationalität und manchmal am helllichten Tag mitten auf der Straße umgebracht. Ab 1942 benutzten die Nazis für die Massemorde häufig Gaswagen.

Der wirtschaftliche Terror zeigte sich am deutlichsten in der Agrarpolitik, die auf die rücksichtslose Ausbeutung der Landbevölkerung und die Beschlagnahmung der größtmöglichen Menge landwirtschaftlicher Erzeugnisse abzielte. Zu diesem Zweck führten die Nazis Abgabenormen ein und verboten den privaten Warenhandel. Dies stellte zusammen mit der festgelegten Steuerlast eine unerträgliche Belastung für die ukrainischen Landwirte dar und verdammte die Städte zum Hungern. Bei Nichterfüllung der Abgabenormen von Lebensmitteln reagierte die Besatzungsmacht mit Strafen wie der Beschlagnahmung von Viehbeständen oder der Inhaftierung in Arbeitslager. [15] Die Repressionen gegenüber den Bauern wurden in nationalistischen Untergrundzeitschriften diskutiert. So wurde in der Zeitung „Informator“ konstatiert, dass „der deutsche Eindringling auf dem Gebiet der von ihm besetzten Ukraine den Terror gegen die ukrainische Zivilbevölkerung verschärft hat. Spezialeinheiten der Gestapo und der Polizei führen Massenerschießungen der Bevölkerung durch.“ [16] Morde an der Zivilbevölkerung fanden auch als Vergeltungsmaßnahme für Aktionen von Partisanen, Untergrundkämpfern und ukrainischen Nationalisten statt. [17] Im Rahmen solcher Aktionen wurden mehr als 350 ukrainische Dörfer ausgelöscht und zehntausende Zivilisten ermordet. Opfer der Besatzer wurden nicht nur Personen, die im Widerstand mitwirkten, sondern hunderttausende unschuldiger Bürger – einschließlich derer, von denen keinerlei Gefahr für das Besatzungsregime ausging: Kinder, Frauen, Alte und Kranke. [18] Nach einem gesonderten Plan wurden Patienten aus psychiatrischen Kliniken und Schwerkranke sowie Kinder aus pädagogischen Einrichtungen (Waisenhäuser, Internate) ermordet [19].

Abgesehen von direkten Massenmorden an der Zivilbevölkerung schuf die Besatzungsmacht solche Lebensbedingungen, die zur vollständigen oder teilweisen Vernichtung der Bevölkerung führten: Hungersnot, Fehlen eines Mindestmaßes an elementarer Kommunalversorgung, mangelhafte Funktion der Gesundheitseinrichtungen. [20]

In den besetzten Gebieten wurde ein Netz von Lagern eingerichtet: Konzentrationslager, Arbeitserziehungslager, Zwangsarbeitslager für Juden, Deportations- und Arbeitslager, in denen sowohl Kriegsgefangene als auch Zivilisten gefangen gehalten und ermordet wurden.

Während des Rückzugs von ukrainischem Territorium folgten weitere Verbrechen, darunter die Zwangsvertreibung und Vernichtung derjenigen Bevölkerungsgruppen, die laut deutschen Vorstellungen aus unterschiedlichen Gründen nicht in den Westen gelangen konnten oder sollten: Kranke, Gefangene, Lagerhäftlinge, Arbeitsunfähige und andere.

Im Laufe der Besatzung durch die Nazis erlitt die ukrainische Zivilbevölkerung unersetzliche Verluste. Laut Schätzungen von Mitarbeitern des Mychajlo-Ptucha-Instituts für Demographie- und Sozialforschung der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine schrumpfte die Gesamtbevölkerung der Ukrainischen Sowjetrepublik während des deutsch-sowjetischen Krieges um 10,4 Millionen Menschen, von 42,4 Millionen am 22. Juni 1941 auf 32 Millionen am 8. Mai 1945. Die Verluste der Zivilbevölkerung betrugen 5,2 Millionen, davon wurden 3 Millionen ermordet, der Rest starb infolge der gestiegenen Sterblichkeitsrate. [21]

Dabei war die Umsetzung der deutschen Besatzungspolitik durch eine Reihe von Fehleinschätzungen gekennzeichnet. Diese beruhten auf der Unkenntnis der deutschen Führungsriege über die örtlichen Verhältnisse und bestanden unter anderem in einer Missachtung der Mentalität der Ukrainer, einer verächtlichen Haltung gegenüber der lokalen Bevölkerung, die selbst deren Grundbedürfnisse ignorierte, und der Anwendung von Gewaltmethoden . Die unbeholfenen Versuche der Besatzungsmacht, die Tätigkeit der lokalen Industrie und Landwirtschaft neu zu organisieren, standen einem Mangel an Elektrizität, Ausrüstung und Technik gegenüber und wurden durch Sabotageakte vonseiten der Zivilbevölkerung zusätzlich erschwert. Ein wichtiger Faktor, der das „Klima“ der besetzten Gebiete prägte, war die Einstellung der Ukrainer. Innerhalb bestimmter Bevölkerungsgruppen bestanden eigene Erwartungen an die „neuen“ Machthaber. Politiker erhofften sich die Rückgewinnung der ukrainischen Staatlichkeit; die Intellektuellen wollten ihre Ideen und Talente verwirklichen und in einer freien Gesellschaft wirken; die Bauern wollten ihr eigenes Land bestellen und so weiter. Prodeutsche Einstellungen waren weitverbreitet unter denen, die die Hungersnot 1932-33 überlebt hatten und während des „Großen Terrors“ von den sowjetischen Machthabern verfolgt worden waren. Angesichts des Ausmaßes der sowjetischen Repressionen gab es davon sehr viele. Sie setzten darauf, dass die „neuen“ Machthaber sie in dem Wunsch nach einer Verbesserung ihrer Lebensbedingungen unterstützen und ihnen die Gelegenheit geben würden, sich an der Sowjetregierung zu rächen. Die Menschen begrüßten die Deutschen zunächst als Befreier,[22] doch dieser Eindruck war nur von kurzer Dauer. Die Versprechungen der Besatzer blieben reine Lippenbekenntnisse. Daher zeigten sich im Laufe der Zeit selbst die leidenschaftlichsten Anhänger der Eroberer von der durch die Besatzer geschaffenen Ordnung enttäuscht. In einem treffenden Diktum von Dokija Humenna heißt es: „Hitler erwärmte uns innerhalb von anderthalb Jahren für die Sowjetmacht, während sich Stalin dreiundzwanzig Jahre lang darum bemühte und doch  nichts daraus geworden ist…“. [23]Einige verzweifelte Ukrainer schlossen sich den Kämpfern gegen das Besatzungsregime (in Form der sowjetischen oder autonomen Widerstandsbewegung) an; andere zogen den passiven Widerstand gegen die „neue Ordnung“ vor.

 Abkürzungsverzeichnis:

GG – Generalgouvernement

OKW – Oberkommando der Wehrmacht

RKU – Reichskommissariat Ukraine

Aus dem Ukrainischen von Johann Zajaczkowski

[1] Alexander Dallin: Deutsche Herrschaft in Rußland 1941-1945, Düsseldorf 1958, S. 137. In der englischen Ausgabe: Alexander Dallin: German Rule in Russia, 1941-1945. A Study of Occupation Policies, London 1957, S. 127.

[2] Valerij Smolij und V. Motrenko: Istorija Deržavnoї Služby v Ukraїni, Bd. 2/5, Kyїv 2009, S. 298.

[3] Andrij Boljanovs’kyj: Nimecka Okupacijna Polityka i Problemy Ukraїns’ko-Pol’skych Vzajemyn, in: Ukraїna: Kulturna Spadščyna, Nacional’na Svidomist’, Bd. 13/2005, S. 68-119. L’viv.

[4] Central’nyj Deržavnyj Archiv Vyšych Orhaniv Vlady ta Upravlinnja Ukraїny (CDAVO Ukraїny), F. 4602. – Op. 5. – Spr. 16, ark. 1; Izdatel’stvo Polityčeskoj Literatury: Predstupnye Celi – Prestupnye Sredstva. Dokumenty ob Okkupacionnoj Politike Fašistskoj Germanii na Territorii SSSR (1941-1944 gg.)., 1968, S. 39-43; Direktivy po Rukovodstvu Ekonomikoj vo Vnov’ Okkupiruemych Vostočnych Oblastjach (Zelenaja Papka), < https://coollib.com/b/197060/read#t94>.

[5] Izdatel’stvo Juridičeskoj Literatury: Njurnbergskij Process nad Glavnymi Nemeckimi Voennymi Prestupnikami, Materialsammlung, 1958, hier Bd. 5/7: Doprosy Podsudimych i Reči Advokatov, S. 37-38.

[6] F. Ševčenko (Hg.): Nimecko-Fašysts’kyj Okupacijnyj Režym na Ukraїni 1941-1944, Material- und Dokumentsammlung, Deržavne Vydavnyctvo Polityčnoї Literatury URSR 1951, S. 46-48.

[7] Ekonomika: Predstupnye Celi – Prestupnye Sredstva. Dokumenty ob Okkupacionnoj Politike Fašistskoj Germanii na Territorii SSSR (1941-1944 gg.)., 1985, S. 57.; Nauka: „Soveršenno Sekretno! Tol’ko dlja Komandovanija!”. Strategija Fašistskoj Germanii v Vojne protiv SSSR: Dokumenty i Materialy, 1967, S. 396.

[8] OGIZ (Gospolitizdat): Zverstva, Grabeži i Nasilija Nemecko-Fašistskich Zachvatčikov, Leningrad 1942, S. 114; Nauka: „Soveršenno Sekretno! Tol’ko dlja Komandovanija!”. Strategija Fašistskoj Germanii v Vojne protiv SSSR: Dokumenty i Materialy, 1967, S. 60-63; Naukova Dumka: Istorija Ukrainskoj SSR, 1984, hier Bd. 8/10: Ukrainskaja SSR v Velikoj Otečestvennoj Vojne Sovetskogo Sojuza (1941-1945), S. 96.

[9] CDAVO Ukraїny: F. 3206, op. 1, spr. 2, ark. 2.

[10] M Loboda: Polityka i Praktyka Pracevykorystannja v Okupovanij Ukraїni, in: Ukraїns’kyj Istoryčnyj Žurnal, 3/2010, S. 69.

[11] Nimecko-Fašysts’kyj Okupacijnyj Režym na Ukraїni 1941-1944, Material- und Dokumentsammlung, Deržavne Vydavnyctvo Polityčnoї Literatury URSR 1963, S. 100-102, 212-213; Norbert Müller: Vermacht i Okkupacija, Moskau 2010, S. 43.

[12] Tetjana Jevstafeva: Zniščennja Mirnoho Naselennja u Roky Nimeckoї Okupaciї Kijeva: Kyїv i Kyjany, Bd. 5., 2005, S. 45.

[13] CDAVO Ukraїny: F. 4620, op. 3, spr. 243-а, ark. 14.

[14] Deržavnyj Archiv SBU: F. 5, spr. 59316, ark. 41.

[15] Karel Berkhoff: Žnyva Rozpaču: Žyttja i Smert‘ v Ukraїni pid Nacists’koju Vladoju, Krytyka 2011, S. 134.

[16] Deržavnyj Archiv Rivnens‘koї Oblast: F. Р-30, op. 1, spr. 14, ark. 5zv.

[17] Grzegorz Motyka: Vid Volyns’koї Rizanyny do Operatciї „Visla”: Pol’s’koukraїns’kyj Konflikt 1943-1947 rr., Duch I Litera 2013, S. 64.; Oleksandr Lysenko: Demografični Vtraty Ukraїny v Roky Drugoї Svitovoї Vijny, in: Oleksandr Lysenko, Oleksandr Perechrest, I. Perechrest, Anžela Iržavs’ka (Hg.): Ukraїna v Drugij Svitovij Vijni: Pohljad z XXI. ct. Naukova Dumka 2011, S. 737-784, hier S. 748; Serhij Stel’nykovyč: Žytomyrs’ko-Vinnyckyj Region v Umovach Nacists’koї Okupaciї (1941-1944 gg.), Žytomyr 2015, S. 146-147; Jurij Soroka: Naselennja Zachidnoukraїns‘kych Zemel‘: Etnopolityčnyj ta Demografičnyj Vymir (1939-1950-ti Roki), Kyїv, 2013, S. 318.

[18] Oleksandr Lysenko, Oleksandr Perechrest: Demografični Vtraty Ukraїny v Roky Drugoї Svitovoї Vijny, in: Archivy Ukraїny, 3/2015, S. 16.

[19] Oleksandr Lysenko, Oleksandr Perechrest: Demografični Vtraty Ukraїny v Roky Drugoї Svitovoї Vijny, in: Archivy Ukraїny, 3/2015, S. 17.

[20] Maksim Zagorul’ko, Andrej Judenkov: Krach Plana „Ol‘denburg”, 1980, S. 137; Serhij Stel’nykovyč: Žytomyrs’ko-Vinnyckyj Region v Umovach Nacists’koї Okupaciї (1941-1944 gg.), Žytomyr 2015, S. 146.

[21] Ocinka Demografičnych Vtrat Ukraїny u Period Drugoї Svitovoї Vijny, Kyїv 2015, S. 203-207. [=Forschungsbericht der internationalen Wissenschaftstagung zum Thema „Der ukrainische 2. Weltkrieg“ anlässlich des 70. Jahrestages des Sieges über den Nationalsozialismus im Zweiten Weltkrieg, 5. Mai].

[22] Valentin Terno: Rastrepannye Vospominanija o Strannom Detstve, 2003, S. 126; Anatolij Kuznecov: Babin Jar, 1991, S. 58.

[23] Dokija Gumenna: Chreščatyj Jar (Kyїv 1941-1943): Roman-Chronika, New York, 1956. S. 458. https://chtyvo.org.ua/authors/Humenna_Dokia/Khreschetyi_yar/

Quellen