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Ukrainedeutsche im Zweiten Weltkrieg

von Dmytro Mjeschkow

Pläne und Institutionen

Bezüglich der deutschen Minderheiten (insgesamt mehr als 10 Millionen Menschen) in den europäischen Ländern stützte sich die nationalsozialistische Politik der Zwischenkriegszeit auf die Vorstellung von einem einheitlichen deutschen Volk, das in den Grenzen des Großdeutschen Reiches vereint werden sollte. Dabei unterschied sie zwischen „Reichsdeutschen“ und „Volksdeutschen“, für die in der Ukraine während der Besatzungszeit die Bezeichnung „ortsansässige Deutsche“ verwendet wurde. Die Deutschstämmigen außerhalb des Reiches sollten zu Trägern der Rassenideologie werden, um später die neue Elite in den besetzten Gebieten zu stellen.

Von den mehr als 50.000 Deutschstämmigen [1], die infolge von Krieg und Revolution aus dem ehemaligen Russischen Reich nach Deutschland ausgewandert waren, unterstützten bei weitem nicht alle den Nationalsozialismus. Viele von ihnen sahen in der nationalsozialistischen Politik gegenüber den Auslandsdeutschen aber eine Chance, das Los ihrer Landsleute in der UdSSR zu verbessern. Ab Mitte der 1930er Jahre gerieten die Verbände ehemaliger Russlanddeutscher und wissenschaftliche Organisationen, die sich mit diesem Thema befassten, unter die Kontrolle des nationalsozialistischen Regimes. Zu ihnen zählte auch das Deutsche Ausland-Institut (DAI) in Stuttgart, an dem Karl Stumpp, ein einflussreicher Sohn deutscher Kolonisten aus der Südukraine, die Geschichte der Deutschen im ehemaligen Russischen Reich erforschte. [3]

NS-Funktionäre unter den ehemaligen Einwanderern, wie der aus einer Kolonie in der Nähe von Odessa stammende Georg Leibbrandt [2], versuchten, dies auszunutzen und die Diaspora auf die „zukünftigen politischen Aufgaben im Osten“ vorzubereiten. Sie suchten die Spitzen des Regimes von der „biologischen Kraft“ und der „ideologischen Jungfräulichkeit“ der Deutschstämmigen in und aus der UdSSR zu überzeugen, Eigenschaften, die sie ihrer Meinung nach dafür prädestinierten, als antibolschewistische Avantgarde eingesetzt zu werden. [4]

In den 1930er Jahren konkurrierten in Deutschland verschiedene Partei- und Regierungsinstitutionen um die Führungsrolle in der nationalsozialistischen Auslandsdeutschenpolitik. Ab Mitte der 1930er Jahre wurde hier die Position des Reichsführers SS Heinrich Himmler immer stärker, bis er mit der Schaffung der  „Volksdeutschen Mittelstelle“ (VoMi) diese Vollmacht endgültig an sich riss. [5]

In seiner Rede vor dem Reichstag am 6. Oktober 1939 kündigte Adolf Hitler eine „neue Ordnung der ethnographischen Verhältnisse“ an. Die zahlreichen „Splitter des deutschen Volkstums“ in Ost- und Südosteuropa, die ihm zufolge nicht anders zu retten waren, sollten ins Reich heimkehren. Am folgenden Tag wurde der Führungsstab geschaffen (ab 1941 – Stabshauptamt), der für Heinrich Himmler in seiner Funktion als Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums die nationalsozialistische Umsiedlungs- und Germanisierungspolitik im Osten koordinieren sollte. Diese Institution war unter anderem an der Ausarbeitung des Generalplans Ost beteiligt, der nicht nur die Umsiedlung der Deutschen, sondern auch die Vernichtung “feindlicher” Bevölkerungsgruppen vorsah.

Umsiedlung ins Reich 1939-1940 und sowjetische Deportationen 1941

Mit dem deutsch-sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrag vom 28. September 1939 erzielten beide Seiten eine erste Einigung erzielt, um dann am 16. November 1939 einen Vertrag über die Umsiedlung deutscher Minderheiten aus den Gebieten des „ehemaligen polnischen Staates“ zu unterschreiben. Diese Gebiete fielen nach dem geheimen Zusatzprotokoll zum Molotow-Ribbentrop-Pakt in die sowjetische Einflusssphäre. Noch am selben Tag wurde eine gemeinsame Umsiedlungskommission gegründet.

Als die Rote Armee 1940 nach Bessarabien und in die nördliche Bukowina einmarschierte, stellte sich auch dort die Frage nach dem Schicksal der Deutschen. Im Juli willigte die sowjetische Führung ein, die Bukowina- und Bessarabiendeutschen in vom Deutschen Reich kontrollierte Gebiete umzusiedeln. Am 5. September 1940 unterzeichneten die Sowjetunion und das Deutsche Reich einen entsprechenden Vertrag, der ebenfalls eine „gemeinsame Umsiedlungskommission“ vorsah.

Von den Deutschen, die infolge der Absprachen zwischen Moskau und Berlin 1939/40 ins Reich umgesiedelt wurden, lebten viele auf dem Gebiet der heutigen Ukraine: Unter ihnen waren 54.000 bis 57.000 Galiziendeutsche (also fast alle von insgesamt rund 59.000), ferner ungefähr 67.000 Deutschstämmige aus dem polnischen Teil Wolhyniens (vermutlich ohne die Flüchtlinge, die Wolhynien schon früher verlassen hatten und deren Zahl auf 10.000 bis 15.000 geschätzt wird). Die Zahl der evakuierten Bessarabiendeutschen lag bei etwa 90.000, die der Deutschen aus der nördlichen Bukowina bei an die 45.000 Personen. [6]

Ukrainedeutsche dienten als Soldaten in der Roten Armee, als der deutsch-sowjetische Krieg begann, und waren als Zivilisten am Bau von Befestigungsanlagen beteiligt. Auch unter den ukrainischen Partisanen und Untergrundkämpfern waren Deutsche. Dennoch wurden sie gleich nach Kriegsbeginn in der Ukraine und auf der Krim von einer Verhaftungswelle erfasst, da Sowjetbürger deutscher Abstammung nun präventiv festgenommen wurden. Auf Berichte von der Front, dass die Deutschstämmigen unter den Einheimischen die vorrückende Deutsche Armee unterstützt hätten, reagierte Stalin mit einem Deportationsbefehl: „Rausschmeißen, mit Pauken und Trompeten“.

Ab Mitte August 1941 gingen die sowjetischen Behörden dazu über, die Deutschen massenhaft wegen ihrer Herkunft zu deportieren. Bis zum 22. August wurden circa 60.000 Deutsche mitsamt ihren Familienmitgliedern, die oftmals nicht deutscher Herkunft waren, von der Krim deportiert. Gleichzeitig wurden Deportationen aus dem Gebiet Chortytzja angeordnet, doch konnten die meisten der dort lebenden-Mennoniten, da sie nicht bewacht wurden, im Chaos der vorrückenden Frontlinie rasch zurückkehren. Auf Befehl des Kriegsrates der Südfront vom 26. August 1941 sollte die deutsche Bevölkerung der Krim und der Gebietes Dnipropetrowsk evakuiert werden. Per Erlass vom 31. August „Über die Deutschen auf dem Gebiet der Ukrainischen SSR“ ordnete das Politbüro des Zentralkomitees der sowjetischen kommunistischen Partei die Verhaftung derjenigen Deutschen an, die als „antisowjetische Elemente“ galten. Zugleich wurden die restlichen arbeitsfähigen Männer in den sogenannten „Baubataillonen“ mobilisiert und im Osten des Landes eingesetzt. Infolge dieses Befehls wurden im September 1941 über 7.000 Personen verhaftet und rund 13.500 in Bautrupps mobilisiert. Am 22. September 1941 ordnete das Staatskomitee für Verteidigung an, die Deutschen aus den Gebieten Saporischschja, Stalino (Donezk) und Woroschylowgrad (Luhansk) zu deportieren. Laut Statistik des NKWD wurden im Zeitraum vom 1. Januar 1941 bis 1. Januar 1942 80 Tausend Menschen aus diesen Gebieten deportiert (von den geplanten 110.000). [7] Diese Deportationen sowjetischer Bürger deutscher Abstammung aus den östlichen Gebieten der Ukrainischen SSR dauerten bis Anfang 1942.

Die aus der Ukraine deportierten Deutschen wurden über Sibirien, das Uralgebiet und Kasachstan verteilt. An die 10.000 aus den Gebieten Odessa und Dnipropetrowsk wurden in die Region Altai abtransportiert; über 75.000 Deutsche aus Saporischschja, Woroschylowgrad und Stalino kamen nach Kasachstan. So wurden die im Gebiet Woroschylowgrad Verhafteten unter anderem im Wjatlag in der Region Kirow interniert, und die aus den Häftlingen gebildeten Baubataillone in die Uralregion geschickt wurden. Ab September 1941 kamen Soldaten aus der Roten Armee hinzu, die wegen ihrer deutschen Abstammung von der Front verbannt worden waren.[8] Während es im Westen des Landes sowie im Gebiet der linksufrigen Ukraine angesichts des schnellen Vormarsches der deutschen und rumänischen Truppen weniger Deportationen gab, erreichten diese im Gebiet entlang des Dnipro sowie im Osten und Süden der Ukraine sowie auf der Krim erheblich größere Ausmaße.

Die Deutschen der Ukraine nach dem 22. Juni 1941 und die nationalsozialistische Volksdeutschenpolitik in den besetzten ukrainischen Gebieten

Der Großteil der Vorkriegsukraine wurde in das „Reichskommissariat Ukraine“ (RKU) und das „Gouvernement Transnistrien“ zwischen Dnister und Bug eingeteilt, welches von der rumänischen Armee besetzt wurde. Das RKU übergab das deutsche Kommando nach und nach an eine zivile Verwaltung überführt. Transnistrien dagegen wurde zwar dem rumänischen Staat unterstellt, doch erhielt die deutsche Bevölkerung dort aufgrund deutsch-rumänischer Verträge Autonomie und unterstand den Strukturen der SS.

Im Reichskommissariat Ukraine waren – einschließlich der Frontgebiete – rund 200.000 Ukrainedeutsche gemeldet. Hinzu kamen etwa 130.000 in Transnistrien. [9] Die ersten „Ordnungsmaßnahmen“ (Registrierung, Ernennung von Gemeindevorstehern, materielle Hilfen, die oft auf Kosten der lokalen, nichtdeutschen Bevölkerung gewährt wurden) wurden unter dem Kommando der Wehrmacht durchgeführt. Danach „säuberten“ spezielle Kommandos des SD und der Polizei die besetzten Gebiete. Diesen Säuberungen fielen auch sowjetische Beamte und Parteifunktionäre aus der Mitte der Ukrainedeutschen zum Opfer. Im August und September 1941 wurden zunächst in den deutschen Dörfern Transnistriens und Wolhyniens, später dann auch in anderen Gebieten mit deutschstämmiger Bevölkerung, Bezirksverwaltungen des Spezialamtes der SS „R“ gebildet, die fortan für die deutschstämmige Bevölkerung des RKU und Transnistriens zuständig waren. Diese Ämter wurden mit Vertretern des SD und der Volksdeutschen Mittelstelle besetzt. Der Leiter des Amtes VII, SS-Oberführer Horst Hoffmeyer, diente bei der VoMi und war unter anderem auch schon 1939 für die Übersiedlung der Volksdeutschen aus dem besetzten Polen ins Reich zuständig gewesen. [10]

Die VoMi war in den zwischen 1941 und 1944 besetzten Gebieten der Ukraine sowie auf der Krim für die Registrierung und „rassische Überprüfung“ der lokalen deutschen Bevölkerung zuständig. Darüber hinaus koordinierte sie ihre Umsiedlung innerhalb und außerhalb der Ukraine, stellte Personaldokumente aus, organisierte Bürgerwehren, kümmerte sich um das religiöse Leben sowie das Bildungswesen und betrieb Propaganda. Außer den SS-Einheiten war auch das Sonderkommando von Karl Stumpp für die Listen und die Überprüfung der Rassenzugehörigkeit zuständig. Seine Pläne für die Einrichtung einer „Ahnenforschungsstelle“, welche Informationen über die „arische Abstammung“ der Ukrainedeutschen zusammentragen sollte, wurden wegen Interessenkonflikten zwischen unterschiedlichen Institutionen und der Frontsituation nicht im vollen Umfang realisiert.

1943 wurde im Reichkommissariat, wie zuvor schon in den an das Reich angeschlossenen polnischen Gebieten geschehen, mit der Erstellung eines Registers der Volksdeutschen der Ukraine begonnen. Grundlage für eine Eintragung in diese Listen war eine Überprüfung durch Mitarbeiter der sog. Einwandererzentralstelle, einer Organisation, die zum Apparat des Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums gehörte. Ab dem 3. April 1943 erhielten die Volksdeutschen der 1. und 2. Gruppe die Staatsbürgerschaft des Dritten Reiches. Bei Volksdeutschen aus der Gruppe 3 war die Verleihung der Staatsangehörigkeit an eine zehnjährige Probezeit geknüpft. Eingebürgert wurden auch diejenigen Ukrainedeutschen, die bei der Wehrmacht oder der Waffen-SS dienten.

Die Deutschstämmigen wurden so zu einer privilegierten Volksgruppe in den besetzten Gebieten. Sie erhielten zusätzliche Lebensmittelrationen, höhere Löhne, zahlten weniger Steuern und wurden bevorzugt eingestellt. Die lokalen deutschen Kommunen bekamen Kredite, Vieh und landwirtschaftliches Inventar. Die Volksdeutschen erhielten außerdem den Besitz und die Wohnungen sowjetischer Bürger jüdischer Nationalität, die von den Nazis ermordet worden waren. Die Besatzer gestatteten zwar größere private Gärten, weigerten sich aber, die Kolchosen aufzulösen. Zwar wurden kurz vor dem Rückzug der Wehrmacht vereinzelt Grundstücke zurück in private Hände gegeben, doch gelang es den nationalsozialistischen Besatzern nicht mehr, wie angekündigt Besitztümer an deutsche Kolonisten zurückzugeben und wie geplant die Kolchosen aufzulösen. Große Aufmerksamkeit schenkte man der Propaganda und der Erziehung von Kindern und Jugend: Die Kinder der Deutschen sollten die Schulen acht Jahre lang besuchen, in ihren Siedlungen wurden Kindergärten, Ferienlager, Lehrerkurse, Berufsschulen und andere Bildungsinstitutionen gegründet.

Das Umsiedeln von Menschen war eine zentrale Komponente der nationalsozialistischen Pläne für die besetzten Gebiete Osteuropas. In Transnistrien begann die kompakte Ansiedlung von Deutschen in monoethnischen Dörfern schon im Herbst 1941. Parallel zu Deportationen, Vertreibung und teilweiser Vernichtung der einheimischen Bevölkerung planten Himmler und seine Gehilfen, in der Ukraine deutsche Kolonien zu schaffen. Solche Siedlungen sollten gleichsam als Stützpunkte unter anderem entlang der Haupttransportrouten entstehen. Außerdem sollte der „Gotengau“, ein Gebiet, das die Halbinsel Krim und die anliegenden Regionen auf dem Festland umfasste, völlig germanisiert werden. [11]

Der Beginn dieser Umsiedlungsbewegung war teilweise durch die Situation an der deutsch-sowjetischen Front bedingt. So wurden die Deutschen aus dem Gebiet Charkiw beispielsweise in die Molotschansker Kolonien (rund um Halbstadt) umgesiedelt, wo eine der größten monoethnischen Stützkolonien entstehen sollte. Später wurden die Deutschen auch entlang der Transportwege in Wolhynien angesiedelt („Hegewald“). [12] 1943 setzte dann die sogenannte administrative Umsiedlung (Evakuierung) der Deutschen aus dem Reichkommissariat Ukraine ein, 1944 folgte Transnistrien. Die Gesamtzahl der Ukrainedeutschen, die in den Warthegau, ins Generalgouvernement sowie ins Deutsche Reich übersiedelt haben, wird auf 260.000 bis 350.000 Menschen geschätzt. [13]

Kollaboration und Beteiligung am Holocaust

Die Deutschen aus Wolhynien und Bessarabien, die 1939/40 ihre Heimat verlassen mussten, wurden häufig in führenden Positionen in der Landwirtschaft eingesetzt. Viele von ihnen dienten, wie auch andere ortsansässige Deutsche, in der Wehrmacht, Spezialeinheiten, der Polizei und der neuen Zivilverwaltung als Übersetzer. Die Volksdeutschen fungierten als Bürgermeister, Leiter der Hilfspolizei, Lehrer und verschiedenerlei Hilfspersonal. Der Einfluss der ukrainedeutschen Kollaborateure auf das Leben und Schicksal der lokalen Bevölkerung hing von ihrer eigenen Motivation und vom Vertrauen der Besatzungsmacht ab.

Eine systematische Einberufung der Ukrainedeutschen in die Wehrmacht oder andere militärische Einheiten fand erst nach deren Evakuierung 1943-1944 statt. Es gab freilich einige Ausnahmen, wie etwa die Einberufung von 3.000 Transnistriendeutschen in die Waffen-SS. Verschiedenen Schätzungen zufolge dienten rund 20.000 Deutschstämmige aus dem RKU und aus Transnistrien in Bürgerwehren, die Hälfte von ihnen allein im Gouvernement Transnistrien. Die Hauptaufgabe dieser Bürgerwehren war es anfangs, deutsche Dörfer vor Partisanen und vor Plünderungen durch rumänische Soldaten zu schützen. Alle Männer im wehrpflichtigen Alter mussten sich beteiligen, doch war nur ein kleiner Teil aktiv, der besser bewaffnet und geschult war. Die übrigen Männer, der „passive“ Teil also, arbeiteten in der Landwirtschaft und nahmen in der Regel nur einmal wöchentlich – sonntags – an Übungen teil. Manchmal erhielten sie auch kurze Schulungen. Dadurch ist es schwierig zu ermitteln, wie viele Mitglieder diese Einheiten tatsächlich hatten.

Ende 1941 waren die deutschen Bürgerwehren Transnistriens erstmals an dem Massenmord an der jüdischen Bevölkerung beteiligt. Zwischen Ende Dezember 1941 und Mitte Januar 1942 wurden allein bei Bohdaniwka über 50.000 Juden, die von den rumänischen Besatzern aus Odessa und anderen Städten dorthin deportiert worden waren, von Männern des Kommandos R erschossen. Ortsansässige Deutsche waren aktiv daran beteiligt. Massenerschießungen von Juden, denen Tausende zum Opfer fielen, fanden in der Nähe der deutschen Dörfer bis Anfang 1943 statt. [14]

Die Motivation der Ukrainedeutschen, mit den Besatzern zusammenzuarbeiten, unterschied sich nicht von der anderer Kollaborateure, und sie beteiligten sich vor Ort auch in ähnlicher Form daran, nationalsozialistische Politik umzusetzen. Die Volksdeutschen waren in den besetzten Gebieten eine sehr privilegierte Gruppe, deren Lebensumstände sich verbesserten. Bei vielen von ihnen fiel die Propaganda der Besatzer auf fruchtbaren Boden, besonders, wenn diese die stalinistischen Repressionen entsprechend instrumentalisierten. Die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung und die Aneignung ihres Besitzes begriffen sie als eine Art ausgleichender Gerechtigkeit. Mit dem Rückzug der deutschen Truppen verließen auch die meisten Ukrainedeutschen ihre Heimatorte, weil sie Repressionen der zurückkehrenden Sowjetmacht entgehen wollten. Die Evakuierung der Jahre 1943/44 beendete die über hundertjährige Siedlungsgeschichte von Deutschen und Mennoniten in der Ukraine.

Verfolgung der ehemaligen „Volksdeutschen“ und Nachkriegsprozesse

Ende 1944 begann die Repatriierung der Deutschen in die UdSSR. Die meisten von ihnen gelangten in sogenannte „Sondersiedlungen“. Ein Teil der Rückkehrer wurde in den ersten Nachkriegsjahren durch das Spezialkomitee des NKWD und diverse Kriegsgerichte wegen Hochverrats und/oder Handlangerdienste verurteilt. Als Grundlage für die harten Urteile dienten in der Regel die Registrierung als „Volksdeutscher“, die damit verbundenen Privilegien und die Verleihung der Staatsbürgerschaft des Deutschen Reiches. Die Ukrainedeutschen, die während des Krieges in der Wehrmacht gedient hatten, wurden ebenfalls in die Sondersiedlungen verbannt, die erst am 13. Dezember 1955 aufgelöst wurden. Auch danach wurden die meisten Rückkehrer weiterhin von den Sicherheitsbehörden beobachtet.

Ein unbeleuchteter Aspekt der Verfolgung von Kriegsverbrechern sind die Gerichtsprozesse und Ermittlungen zu den Bürgerwehren in den ehemals deutschen Siedlungen Transnistriens. In den ersten Nachkriegsmonaten wurden einige ehemalige Mitglieder dieser Verbände zum Tode verurteilt. Die Jahre 1956/57 markierten dann eine neue Etappe in der Verfolgung  ehemaliger Bürgerwehr-Mitglieder für ihre Beteiligung am Massenmord an der jüdischen Bevölkerung. Von 1957 bis 1961 wurden im Zuge der Ermittlungen zur Beteiligung der Bürgerwehr des Dorfes Worms an den Erschießungen auf dem Beresowske Feld zwanzig ehemaliger Teilnehmer festgenommen und bestraft. Viele hielten sich jedoch auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland versteckt. In den folgenden Jahren wurde aber in der UdSSR gegen Angehörige anderer Verbände weiter ermittelt. Anfangs konzentrierte sich diese Arbeit in der Regionalverwaltung des KGB im Gebiet Odessa, später wurde beim KGB des Gebiets Mykolajiw eine Sonderermittlungsgruppe geschaffen.

In der sowjetischen Ukraine fanden zahlreiche Schauprozesse statt; es wurden Dokumentarfilme gedreht und propagandistischen Kampagnen organisiert. Im Rahmen der internationalen Rechtshilfe übermittelten die sowjetischen Behörden Informationen an die Staatsanwaltschaften der Bundesrepublik und verlangten von ihnen, aktiv zu werden. Die gesammelten Informationen und Kompetenzen liefen bei der Staatsanwaltschaft in Dortmund zusammen, doch wurden auch in anderen Städten Westdeutschlands Ermittlungen geführt. Die behördliche Zusammenarbeit in diesen Angelegen wurde fortgeführt, nachdem die Ukraine ihre Unabhängigkeit erlangte. Ein Forschungsdesiderat besteht weiterhin in Bezug auf den Zusammenhang zwischen der gerichtlichen Verfolgung von Ukrainedeutschen, die Bürgerwehren angehört hatten, und innen- und außenpolitischen Faktoren, die zwischen den 1950er und den 1980er Jahren bedeutsam waren.

Aus dem Ukrainischen von Ludmila Shnyr

[1] Eine Detaillierte Übersicht nach Kommunen und einzelnen Gebieten s. Fleischhauer, Ingeborg. Das Dritte Reich und die Deutschen in der Sowjetunion. Stuttgart 1983, S. 33-34.

[2] Siehe Fleischhauer: Das Dritte Reich, S. 33. Munke, Martin: Zwischen Russland, Deutschland und Nordamerika. Russlanddeutsche Identitätsmuster im ,kurzen‘ 20. Jahrhundert am Beispiel von Georg und Gottlieb Leibbrandt, in: Victor Dönninghaus, Jannis Panagiotidis, Hans-Christian Petersen (Hg.). Jenseits der „Volksgruppe“. Neue Perspektiven auf die Russlanddeutschen zwischen Russland, Deutschland und Amerika. Berlin 2018, S. 87-116.

[3] Fleischhauer: Das Dritte Reich, S. 56-57.

[4] Munke: Zwischen Russland, Deutschland und Nordamerika, S. 100-101.

[5] Fleischhauer, Das Dritte Reich, S. 57. Lumans, V.O.: Himmlerʼs Auxiliaries. The Volksdeutsche Mittelstelle and the German National Minorities of Europe, 1933-1945. Chapel Hill u.a. 1993.

[6] Beer, Mathias: Flucht und Vertreibung der Deutschen. Voraussetzungen, Verlauf, Folgen. München 2011. Jachomowski, Dirk: Deutsche aus der Bukowina. In: Brandes, Detlef / Sundhaussen, Holm / Troebst Stefan (Hg.). Lexikon der Vertreibungen. Deportation, Zwangsaussiedlung und ethnische Säuberung in Europa des 20. Jahrhunderts. Wien 2010, S. 136-138; Ders.: Deutsche aus Bessarabien. In: Ebenda, S. 131-133. Röskau-Rydel, Isabel: Deutsche aus Galizien. In: Ebenda, S. 142-144; Krzoska, Markus: Deutsche aus Wolhynien im Zweiten Weltkrieg. In: Ebenda, S. 195-197. Kotzian, O.: Die Umsiedler. Die Deutschen aus Bessarabien, der Bukowina, der Dobrudscha, Galizien, der Karpaten-Ukraine und West-Wolhynien. München 2004.

[7] Айсфельд, А., Мартиненко, В.: Етнічні німці України під час Другої світової війни і в повоєнні роки. // Україна в другій світовій війні: погляд з ХХІ ст.: Історичні нариси: у 2 кн. Ред. В.А. Смолій та інш. Київ 2010. – Кн. 1 – С. 595-643.

[8] Айсфельд, Мартиненко: Етнічні німці України, с. 607-610. Айсфельд, A.: Великая Отечественная война 1941-1945. // Немцы России. Энциклопедия. (Die Deutschen Russlands. Enzyklopädie). Ред. В. Карев и др. Том 1. Москва 1999, с. 337-342.

[9] Brandes, Detlef: Deutsche aus der Ukraine: NS-Pläne und –Politik. In: Brandes, Detlef / Sundhaussen, Holm / Troebst Stefan (Hg.). Lexikon der Vertreibungen. Deportation, Zwangsaussiedlung und ethnische Säuberung in Europa des 20. Jahrhunderts. Wien 2010, S. 178-180.

[10] Brandes, Detlef: Deutsche aus der Ukraine: NS-Pläne und –Politik. In: Brandes, Detlef / Sundhaussen, Holm / Troebst Stefan (Hg.). Lexikon der Vertreibungen. Deportation, Zwangsaussiedlung und ethnische Säuberung in Europa des 20. Jahrhunderts. Wien 2010, S. 178-180.

[10] Buchsweiler, M. Volksdeutsche in der Ukraine am Vorabend und Beginn des Zweiten Weltkrieges – ein Fall doppelter Loyalität?. Gerlingen 1984, S. 325. ; Ivanov, O.F., Ivan’kov I.O.: Політика нацистського режиму стосовно етнічних німців України (Die Politik des NS-Regimes gegenüber den ethnischen Deutschen der Ukraine). In: Український Історичний Журнал [Ukraïns’kyj Istoryčnyj Žurnal] 3 (2005), S. 83–95.

[11] Fleischhauer: Das Dritte Reich, S. 75-77.

[12] Berkhoff, K. C.: Harvest of Despair. Life and Death in Ukraine under Nazi Rule. Cambridge-Massachusetts-London 2004, S. 45; Fleischhauer: Das Dritte Reich, S. 122, 133f.

[13] Brandes: Deutsche aus der Ukraine, S. 178; А. Айсфельд, В. Мартиненко. Етнічні німці України, с. 617.

[14] Steinhart, Eric C.: The Holocaust and the Germanization of Ukraine. NY: Cambridge University Press 2015.  Myeshkov, Dmytro. Die Deutschen in der Ukraine während der Besatzung 1941-1944. In: Burkhard Olschowsky und Ingo Loose (Hg.). Nationalsozialismus und Regionalbewusstsein im Östlichen Europa. München 2016, S. 401-421, hier 407-410.

Quellen